Trondheim

Eine Wanderung voller Überraschungen


Trondheim

Eine Wanderung voller Überraschungen


Obwohl ich gestern erst spät im Bett war nach der langen Tour, wache ich heute früh auf und gehe zu Havila Capellas Havrand Restaurant. Es sind nur ein paar Leute da und ich finde einen Tisch direkt am Fenster. Die Regentropfen aus der letzten Nacht hängen noch an der langen Fensterscheibe und ein grauer Nebel liegt auf dem ruhigen Meer. Hier und da, wo die Sonne durch den Nebel kommt, sieht man goldene und rosa Strahlen auf dem Wasser. Der Ausblick ist atemberaubend und erinnert mich an ein impressionistisches Bild. Ich bin erstaunt über den Gedanken, dass ich schon mein ganzes Leben lang in Norwegen gelebt habe, aber noch nie vorher so eine magische Szene erlebt habe.

Als ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das Menü richte, entscheide ich mich für das „Grüne Frühstück“. Es ist ein Themen-Gericht – enthalten im ersten der vier regionalen Menüs, die das Schiff auf der Küstenfahrt anbietet. Daran denkend, dass es klein sein wird und ich Hunger habe, bestelle ich mir noch ein paar andere Gerichte aus dem Standardmenü.

Tatsächlich besteht das „Grüne Frühstück“ aus drei Gängen: Toast mit Pilzen und frittierten Tomaten; Hafermehl mit Milch und Beeren; und ein interessantes grünes Getränk. Es ist sehr lecker!

Mit meinen ganzen anderen Gerichten frage ich mich, ob ich das alles überhaupt schaffe, ohne Havila‘s Ziel zu untergraben, die Essensreste pro Person auf durchschnittlich 75 Gramm zu reduzieren. Für diese großen Kreuzfahrtschiffe ist das ein großes Problem, aber dieses Unternehmen ist nah dran das Unmögliche zu erreichen.

Ich freue mich auf den heutigen Ausflug. Weder hatte ich einen Reiseleiter dort, noch habe ich Trondheim durch die Augen einer Touristin gesehen. Ich frage mich, ob die Stadt noch Überraschungen für mich bereithält.

Es dauert nicht lange und ich werde es herausfinden.

Die erste tritt ein, als wir vom Schiff gehen und Rossana Pinca vom Trondelag Guide Team treffen. Den zweiten Tag in Folge ist unsere Reiseleiterin nicht norwegisch. Rossana ist Italienerin, lebt seit vier Jahren in Norwegen und spricht fließend Englisch.

Sie erzählt uns, dass der Rundgang nur das Satdtzentrum abdeckt, da wir nur zweieinhalb Stunden haben, bevor unser Schiff zum nächsten Ziel fährt.

 

Als wir am Hafen stehen, zeigt Rossana auf Munkholmen, eine kleine Insel am Fjord.

Die Geschichte von Trondheim beginnt dort im Jahr 997, sagt sie, als König Olav Tryggvason die Stadt gründete.

„Der König nutzte Munkholmen um Menschen zu exekutieren“ erklärt sie. „Er hat die Köpfe der Gefangenen abgetrennt und sie auf Pfähle gespießt. Für die Einwohner der Stadt war das eine Warnung und Einschüchterung, weil es alle vom Festland aus sehen konnten.“

Wir laufen ein paar Meter weiter zu einer großen Statue des nordischen Entdeckers Leif Eriksson.

Statue des nordischen Entdeckers Leif Eriksson.

Statue des nordischen Entdeckers Leif Eriksson.

Rossana lächelt. „Als ich nach Norwegen zog und herausgefunden habe, dass die Geschichte über Christoph Columbus und die Entdeckung Amerikas nicht stimmte, war ich ziemlich überrascht.

„Es war nicht der Italiener Columbus, sondern der Norweger Leif Eriksson, der als erster Europäer im Jahr 1000 Amerika entdeckt hat“, sagt sie. „Er legte vom Hafen Trondheims ab, auf der Suche nach einem Abenteuer. Er war ein Freund (des Königs) Olav Tryggvason.“

Dann die nächste Überraschung: Unsere Reiseleiterin fragt uns, ob unter uns Amerikaner sind. Ein kleiner Junge mit langen, dunklen Haaren hebt seine Hand. Er, seine Eltern und sein älterer Bruder sind aus Seattle.

Das ist ein lustiger Zufall, sagt unsere Reiseleiterin, weil die Statue, die wir betrachten, war ein Geschenk der Leif Eriksson Gesellschaft in Seattle. Trondheim erhielt sie 1997 anlässlich des 1000. Geburtstages der Stadt und Eriksson‘s Reise nach Amerika.

Ein bisschen weiter in Rockheim befindet sich das Nationalmuseum für populäre Musik. Früher war es ein Getreidelager und ist heute ein echter Blickfang. Das 3.400 Quadratmeter große Gebäude bietet eine Reise durch Norwegens Musik von den 50zigern bis heute.

Als wir die Außenfassade betrachteten, die mit Bildern von Norwegens Musikern aus den letzten 70 Jahren geschmückt ist, sind wir plötzlich umrundet von Piraten, Prinzessinnen und Monstern in den farbenreichsten Kostümen. In meiner Nähe ist ein Seeungeheuer von „Pirates oft he Carribean“ und jemand mit rotgelockten Haaren und einer passenden Krawatte. Die Menschenmenge wird größer, mehr und mehr Charaktere versammeln sich am Eingang von Rockheim. Die Szene ist festlich.

„Was geschieht hier?“ frage ich unsere Reiseleiterin.

Rossana ist sich nicht sicher, aber ihre Vermutung ist, dass wir in eine Cosplay-Versammlung geraten sind, was eine Kombination aus „costume“ und „play“ ist. Es ist ein Hobby für Menschen, die sich gerne als Charaktere aus Filmen, Spielen oder Büchern verkleiden. Viele stellen ihre komplizierten Kostüme selbst her.

Unsere Gruppe läuft weiter, aber meine Neugierde lässt mich drei der unterhaltsamen Charaktere fragen, ob es stimmt, dass sie Teil des Cosplays sind. Sie nicken und stimmen fröhlich zu, dass ich ein Foto von ihnen mache.

Der erste Stopp im Zentrum der Stadt ist auf der Brücke zum Jachthafen. Rossana deutet hinüber zu einer großen, grünen Fläche, die Bymarka heißt. Es ist ein großer Park und ein Naturschutzgebiet im Westen der Stadt.

„Dieses Naturschutzgebiet hat so viele Bäche, dass ich schon den Überblick verloren habe“, sagt sie, „und beheimatet fast 400 Tierarten“. Im Winter gibt es beleuchtete Wege und Skipisten. Im Sommer gibt es hier einen Golfplatz, mehrere Seen und ein vielfältiges Vogelleben.

Rossana erklärt, dass die Flexibilität im norwegischen Arbeitsleben es Arbeitnehmern erlaubt, viele Aktivitäten draußen wahrzunehmen, die Bymarka und andere Gebiete bieten.

„Die meisten Norweger können sich aussuchen, ob sie ihren Arbeitstag früh beginnen wollen oder später ins Büro kommen und dadurch ist es völlig in Ordnung, seinen Arbeitstag schon um 15 Uhr zu beenden und einen Spaziergang in Bymarka zu machen“, sagt sie. „Egal ob im Sommer oder im Winter.“

Foto: Diego Delso, delso.photo, License CC-BY-SA

Foto: Wikipedia

Wir gehen weiter zu Trondheims offizieller königlicher Residenz, Stifgården.

Das 4.000 Quadratmeter große Haus hat 140 Räume und sehr viele Fenster.

Wenn man genauer hinsieht, endeckt man eine weitere Überraschung. Es stellt sich heraus, dass viele der Fenster gar nicht echt sind: Sie sind aufgemalt.

Die damalige Besitzerin, Cecilie Christine Schøller, eine wohlhabende Witwe, wollte ein Haus haben, so wie die herrschaftlichen, klassischen Häuser aus Kopenhagen. Um diesen Effekt zu erzielen, musste sie künstliche Fenster erstellen lassen.

Das Haus war Teil eines Wettbewerbs, in dem entschieden wurde, wer in Trondheim das spektakulärste Haus bauen konnte.

„Ich würde Cecile Christine Scholler als die „Kardashian“ ihrer Zeit beschreiben“, grinst Rossana.

„Cecile hat nicht mal in diesem Haus gelebt. Als es fertiggestellt wurde, hat sie sich dazu entschieden, dass Trondheim zu provinziell für sie sei, also zog sie nach Kopenhagen. Das Haus wurde an ihren Enkel weitergegeben, welcher es finanziell nicht halten konnte. Er verkaufte es an den Staat.“

Seitdem wird Stifgården für unterschiedliche Zwecke genutzt. Als Norwegen 1905 unabhängig wurde und der dänische Prinz Haakon der König von Norwegen wurde, wurde das Haus an die königliche Familie gegeben.

 

Die Zeit rennt. Wir halten kurz an der berühmten Nidaros Kathedrale, der Ruhestätte des heiligen Wikingers Olav Haraldsson.

Die Zeit rennt. Wir halten kurz an der berühmten Nidaros Kathedrale, der Ruhestätte des heiligen Wikingers Olav Haraldsson.

Nachdem wir kurz drinnen waren, treffen wir wieder auf unsere Reiseleiterin, die auf die St. Michael Staute zeigt, die im nordwestlichen Turm steht.

Foto: Morten Dreier

Foto: Morten Dreier

Als sie repariert werden musste in den späten 1960er, so erzählt sie uns, hat der Künstler das Gesicht erneuert, sodass es seinem Idol Bob Dylan ähnelte.

„Das geschah während des Vietnam-Krieges und während Dylan Protestlieder gegen Nuklearwaffen sang“, sagt Rossana.

Olav der Heilige wird oft mit einer royalen Krone, einer Axt und einem Drachen unter seinen Füßen dargestellt. Die Krone symbolisiert, dass er Norwegens ewiger König ist. Die Axt zeigt seine Autorität als der legitime Gesetzgeber, aber gleichzeitig ist sie die Waffe, die ihm sein Leben nahm. Der Drache kann unterschiedlich interpretiert werden, sowohl als Satan, aber auch als das Böse, das den König überkam. Vielleicht ist es auch ein Bild auf des Königs sündhaftes Leben.“
Quelle: nidarosdomen.no

Während einer unserer letzten Stopps, bevor wir zur Havila Capella zurückgehen, bewundern wir das Gamle Bybro (die alte Stadtbrücke). Sie wurde erstmals im Jahr 1685 gebaut, nachdem im Jahr 1681 95 Prozent von Trondheim niedergebrannt wurde.

Die Brücke wurde neugebaut mit seinen komplizierten roten Portalen im Jahr 1861. Laut unserer Reiseleiterin ist es eine von Norwegens am meisten fotografierte Attraktion.

In unseren letzten Minuten besprechen wir noch ein paar Punkte, die uns interessieren.

 

Das ist unter anderem der wahrscheinlich erste und einzige Fahrradfahrstuhl der Welt.

Das ist unter anderem der wahrscheinlich erste und einzige Fahrradfahrstuhl der Welt.

Das ist unter anderem der wahrscheinlich erste und einzige Fahrradfahrstuhl der Welt.

Was für eine Tour. So viel, wie wir gereist sind, habe ich realisiert, dass Trondheim immer noch Überraschungen bereithält. Ich freue mich darauf, wieder hierher zu kommen.

Morgen erwartet uns ein völlig anderes Abenteuer. Ich werde eine geführte Schlauchboot-Safari nach Saltstraumen machen, dem stärksten Gezeitenstrom weltweit, und dann werden wir die Seeadler in Bodø sehen.

Fortsetzung folgt.

Text: Josefine Spiro